Nachholendes Gedenken an die Opfer
des Nationalsozialismus:

Die Billerbecker Shoah-Opfer
auf der neuen Gedenktafel
 

 


Die Namen der Billerbecker Shoah-Opfer sind auf dieser Gedenktafel auf Dauer festgeschrieben und öffentlich dokumentiert.

Das öffentliche Gedenken an die Billerbecker Shoah-Opfer gewinnt mit der Enthüllung der Gedenktafel eine neue Qualität. Der Billerbecker jüdischer Konfession wird nicht kollektiv, sondern individuell gedacht. Ihre Namen sind auf Dauer festgeschrieben und öffentlich dokumentiert.

Die Personen sind nach ihren Familien zusammengestellt worden und verdeutlichen, dass drei Generationen der Familien Albersheim, Bendix, David, Eichenwald und Stein von der Shoah betroffen waren. Es finden sich die Lebensdaten und eine knappe Zusammenfassung ihrer Schicksale, so dass die individuellen Lebens- und Leidensgeschichten wenigstens in Umrissen aufscheinen können.

Verwiesen wird auf die Auswanderungen, die ja Vertreibungen waren, auf die Deportationen in die Vernichtungslager und auf die Todesorte, soweit sie bislang feststellbar waren. Die Aufstellung umfasst die in der NS-Zeit verstorbenen bzw. ermordeten Billerbecker sowie die überlebenden Billerbecker, die noch auswandern konnten bzw. die in den Konzentrations- und Vernichtungslagern befreit wurden. Nur drei von fast 60 Billerbeckern, die zu Opfern des Holocaust geworden sind, leben heute noch.

Der Autor dieses Beitrags, Matthias M. Ester M.A. (Münster), ist Historiker und arbeitet zur Geschichte der deutschen Gedenkkultur und Erinnerungsarbeit im 20. Jahrhundert.

Er berät Gemeinden und Vereine, die sich um ein zeitgemäßes Gedenken und Erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus bemühen, so auch den Förderverein Mahnmal in Billerbeck.

Grundlegend ist sein Aufsatz „Nationaler Opferbegriff und lokale Gedenkkultur. Das Gedenken an die nationalsozialistische Verfolgung und Ermordung der Juden im Münsterland (1970-2000)“; in: Westfälische Forschungen, Bd. 51 (2001), S. 339-393; im Internet als pdf-Datei herunterladbar auf der website des Vereins „Spuren Finden“ unter www.muenster.org/spurenfinden (auf der Serviceseite unter Forschungsberichte).

Kontakt: Matthias.M.Ester@t-online.de

Mit der namentlichen Aufnahme der Billerbecker Shoah-Opfer auf die Gedenktafel erfolgt nicht nur ein nachholendes Gedenken. Es bleibt zu hoffen, dass damit auch ein Beitrag zur Rückholung dieser Billerbecker Bürgerinnen und Bürger in das kollektive Gedächtnis der Stadt geleistet wird. Zumindest findet mit der Errichtung der Gedenktafel eine Einbringung in das allgemeine Totengedenken der Bevölkerung statt – und somit auch eine symbolische Rückholung der Minderheit in die Billerbecker Gesellschaft und ihre Geschichte.

Dass das Gedenken an die Opfer der Shoah wie auch der anderen Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft nur möglich war über ein kombiniertes Gedenken mit den Kriegstoten des ganzen 20. Jahrhunderts, hinterlässt den kritischen Betrachter der Gedenktafel in Nachdenklichkeit. Das macht aber eben den kompromisshaften Billerbecker Weg des Gedenkens aus, wie es ihn auch treffend kennzeichnet, dass die Gedenktafel zwar an einem repräsentativen Standort in der Mitte der Stadt errichtet wird, aber im Schatten des noch immer so genannten „Kriegerehrenmals” mit der übermächtigen und nach 1945 nicht mehr unbelasteten Tradition des Soldatengedenkens.

Ob ein eigenständiges, künstlerisch gestaltetes Mahnmal für die Billerbecker Shoah-Opfer, wie es von Seiten des ökumenischen Arbeitskreises vorbereitet wird, jetzt noch zwingend notwendig ist, wie es das zweifelsohne gewesen wäre ohne die neue Gedenktafel, die das Shoah-Gedenken integriert hat, muss sorgfältig überlegt werden. Was kann ein solches Denkmal leisten, was die neue Gedenktafel, bei allen konzeptionellen Kompromissen, nicht zu leisten im Stande ist?

Allein diese Diskussion zeigt: Das Gedenken an die Verbrechenspolitik des Nationalsozialismus ist noch nicht abgeschlossen, im Gegenteil. Andere Opfergruppen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft werden in den Vordergrund rücken; andere von den Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs Betroffene werden in den Blick genommen werden.

Die Zukunft des Gedenkens ist offen, das kollektive Gedächtnis, über die Generationen hinweg, lässt sich weder für abgeschlossen erklären noch erschöpft es sich oder löst sich gar auf.





Das „Kriegerehrenmal” von 1926 geht auf den Kriegerverein Billerbeck unter seinem Vorsitzenden Richard Suwelack zurück. Die neue Gedenktafel von 2002 wurde vom Förderverein Mahnmal Billerbeck gestiftet, dessen Vorsitzender Wolfgang Suwelack ist. Der Verein gestaltet im Rahmen eines Kunstprojekts das „Kriegerehrenmal” zu einem „Mahnmal für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft” um. Die neue Gedenktafel erläutert gewissermaßen das Mahnmalsprojekt.

Für den einen bedeutete das „Ehrenmal“ die Anerkennung des ehrenhaften, gefallenen Soldaten; es appellierte an den Respekt vor der Hingabe des Lebens in Erfüllung soldatischer Pflicht. Für den anderen steht das „Mahnmal” als Verweis auf die zivilgesellschaftliche Katastrophe des 20. Jahrhunderts, wie sie sich in der Shoah in ungeheurem Ausmaß verdichtete; es mahnt zum Frieden zwischen den Völkern und in der Gesellschaft.

Stadtgeschichte und Familiengeschichte spiegeln sich in dieser Gedenkgeschichte wider. Mit ihren Vereinen stehen die Vorsitzenden für den Wandel der Geschichte des 20. Jahrhunderts im allgemeinen und den Bedeutungswandel des Billerbecker Gedenkortes im besonderen.

 

 

Teil 1
Die Übergabe der Gedenktafel - Einleitung

 

Teil 2
Der Kontext:
Das Projekt der Umge- staltung des „Krieger- ehrenmals“

 

Teil 3:
Die übermächtige Tradition des Kriegstoten-Gedenkens: Billerbecker Gedenkorte

 

Teil 4:
Die übermächtige Tradition des Kriegstoten-Gedenkens: Das Problem des “ehrenhaften” Gefallenen-Gedenkens nach 1945

 

Teil 5:
Die übermächtige Tradition des Kriegstoten-Gedenkens: Das Problem des bundesrepublikanischen Opfer-Gedenkens

 

Teil 6:
Die vergessenen und verdrängten Opfer des Nationalsozialismus: Einheimische „Euthanasie“-Opfer

 

Teil 7:
Die vergessenen und verdrängten Opfer des Nationalsozialismus: Ausländische Zwangsarbeiter

 

Teil 8:
Nachholendes Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus: Die verfolgten und vertriebenen, verschleppten und ermordeten Juden

 

Teil 9:
Nachholendes Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus:
Die Billerbecker Shoah-Opfer auf der neuen Gedenktafel 

 

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