Der Kontext:


Das Projekt der Umgestaltung
des Kriegerehrenmals
 


Die neue Gedenktafel an der “Kapelle der Friedfertigkeit”

Mit der neuen Gedenktafel setzt sich die Umgestaltung des „Kriegerehrenmals“ fort, die mit der Realisation des ungewöhnlichen Kunstprojekts von Wolfgang Winter und Berthold Hörbelt unter dem Stichwort „Kapelle der Friedfertigkeit“ im Herbst 2000 begonnen hatte.

Die begriffliche Umwidmung des „Kriegerehrenmals“ zum „Mahnmal für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ findet in der neuen Gedenktafel ihre erklärende Erläuterung. Denn die 2,20 breite und 1,70 hohe Glaswand listet nicht nur die Namen der zivilen und militärischen Kriegstoten des Ersten und Zweiten Weltkriegs auf, sondern schreibt erstmals im öffentlichen Raum auch diejenigen Personengruppen in und aus Billerbeck fest, die der nationalsozialistischen Gewalt- und Unrechtsherrschaft zum Opfer gefallen sind.

Es handelt sich hierbei um Billerbecker, die als Juden verfolgt und vertrieben, verschleppt und ermordet wurden, um Billerbecker, die im Verlauf der „Euthanasie“-Aktionen ermordet wurden, und um all jene ausländischen Zwangsarbeiter, die in Billerbeck infolge der harten Arbeits- und Lebensbedingungen verstorben sind.

Die Gedenktafel dokumentiert somit die Toten des kriegerischen und totalitären 20. Jahrhunderts und kommentiert zugleich in ihrer inhaltlichen Ausrichtung den Umwandlungsprozess des Denkmals.

 

Zum Gedenken

an die gefallenen Soldaten des Ersten Weltkrieges
(1914-1918)

an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft
(1933-1945)

an die Kriegstoten des Zweiten Weltkrieges
(1939-1945)

in und aus Billerbeck

***

Gefallene Soldaten des Ersten Weltkrieges

JĂĽdische BĂĽrgerinnen und BĂĽrger, die verfolgt und vertrieben,
verschleppt und ermordet wurden

Bürger, die im Verlauf der „Euthanasie“-Aktion ermordet wurden

Verstorbene ausländische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter

Gefallene Soldaten der alliierten Streitkräfte

Gefallene Mönche der Benediktiner-Abtei Gerleve

Im Kriegslazarett Gerleve verstorbene Soldaten der Wehrmacht

Zivile und militärische Kriegstote des Zweiten Weltkrieges
 


Die neue Gedenktafel gliedert sich in die allgemeine Gedenkformel und die einzelnen Personengruppen, derer gedacht wird. Die Gedenktafel enthält zusätzlich die Namen der Kriegstoten und Opfer der Gewaltherrschaft.


Die Gedenktafel ordnet sich in den kĂĽnstlerischen Versuch ein, neue Formen und erweiterte Inhalte des Mahnens und Gedenkens an einem traditionellen Gedenkort einzuĂĽben.

Der Gedenktafel wohnt zudem eine eigenständige Qualität des Gedenkens und Erinnerns inne. Sie möchte am Anfang eines neuen Jahrhunderts dazu anregen, sich eines zwar vergangenen, aber immer noch gegenwärtigen Jahrhunderts zu vergewissern, das in ungeheurem Ausmaß geprägt wurde von Weltkriegen und Zivilisationskatastrophen, die von Deutschland ausgingen und von Deutschen zu verantworten waren.

Die neue Gedenktafel steht dabei in der langen Tradition des Kriegstotengedenkens, allein schon durch ihren Standort. Sie greift zugleich die – relativ kurze – bundesrepublikanische Tradition des Opfergedenkens auf, um dem Verdrängen, Verleugnen und Vergessen der nationalsozialistischen Vergangenheit endlich auch ein öffentliches Erinnern und demonstratives Gedenken an die Opfer entgegenzustellen.

Allein durch ihre Konzeption und Präsenz stellt sich die Gedenktafel der immer häufiger geäußerten Frage, wieso historisch-politisches Gedenken und Erinnern in der Öffentlichkeit mehr als 50 Jahre nach dem Ende von Krieg und Holocaust noch notwendig ist.

Zweierlei wird aus unterschiedlicher Richtung kritisiert: die Erstarrung des Volkstrauertags zu Routine und Ritual wie auch die stete Rückholung der nationalsozialistischen Vergangenheit in die Gegenwart. Die Umwandlung des Ehren- zum Mahnmal, die Aufstellung der Gedenktafel wie auch die Gedenkstunde am Volkstrauertag am 17. November 2002 selbst sind erste Schritte, eine zeitgemäße und verantwortungsbewusste öffentliche Gedenkkultur in Billerbeck zu begründen.

Heutzutage haben sich Gesellschaft und Staat nicht mehr der schuldhaften Verantwortung für das Vergangene und Geschehene zu stellen, wohl aber trägt man nun die Verantwortung für den gedenkenden Umgang mit der zur Geschichte gewordenen Vergangenheit, die nach wie vor bis in die alltägliche Gegenwart hineinreicht. Diese Verantwortung bleibt also bestehen, sie entsteht ständig aufs neue und entwickelt sich fort.

Die beiden letzten Jahrzehnte haben gezeigt, wie das Interesse gerade an der Geschichte der Opfer des Nationalsozialismus zugenommen hat, an erster Stelle am Schicksal der Holocaust-Opfer. Paradox, aber wahr: Je vergangener die NS-Diktatur, desto notwendiger und intensiver die Aufklärung. Die neue Billerbecker Gedenktafel versucht, dieser umfassenden Verantwortung für das Gedenken und Erinnern vor Ort gerecht zu werden.

weiter: Die übermächtige Tradition des Kriegstoten-Gedenkens:
Billerbecker Gedenkorte 

 

 

Teil 1
Die Ăśbergabe der Gedenktafel - Einleitung

 

Teil 2
Der Kontext:
Das Projekt der Umge- staltung des „Krieger- ehrenmals“

 

Teil 3:
Die übermächtige Tradition des Kriegstoten-Gedenkens: Billerbecker Gedenkorte

 

Teil 4:
Die übermächtige Tradition des Kriegstoten-Gedenkens: Das Problem des “ehrenhaften” Gefallenen-Gedenkens nach 1945

 

Teil 5:
Die übermächtige Tradition des Kriegstoten-Gedenkens: Das Problem des bundesrepublikanischen Opfer-Gedenkens

 

Teil 6:
Die vergessenen und verdrängten Opfer des Nationalsozialismus: Einheimische „Euthanasie“-Opfer

 

Teil 7:
Die vergessenen und verdrängten Opfer des Nationalsozialismus: Ausländische Zwangsarbeiter

 

Teil 8:
Nachholendes Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus: Die verfolgten und vertriebenen, verschleppten und ermordeten Juden

 

Teil 9:
Nachholendes Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus:
Die Billerbecker Shoah-Opfer auf der neuen Gedenktafel 

 

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