Die übermächtige Tradition
des Kriegstoten-Gedenkens:
Das Problem des
bundesrepublikanischen Opfer-Gedenkens
Mit dem künstlerischen Umwandlungs- prozess seit Herbst 2000 soll das
Kriegerehrenmal zum Mahnmal für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft werden.
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Zum anderen hatte man sich nach 1945 mit dem Problem auseinanderzusetzen, wie man der Opfer der Gewaltherrschaft
gedenken sollte. Zwei Praktiken bildeten sich heraus, das spezielle Gedenken an einzelne Opfergruppen und das allgemeine Gedenken an alle „Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft”.
Am Ende dieser Entwicklung steht, um es an einem Beispiel zu verdeutlichen, ein eigenständiges Gedenken an die
Shoah-Opfer bzw. ein integriertes Gedenken an alle Kriegstoten und Gewaltopfer, darunter – eigens erwähnt oder miteingeschlossen – die Shoah-Opfer. In Berlin wird man in Zukunft die Manifestationen beider
bundesrepublikanischen Gedenktraditionen verfolgen können, denn nach der Einrichtung der nationalen Gedenkstätte in der Neuen Wache wird in wenigen Jahren das Denkmal für die ermordeten Juden Europas errichtet sein.
In Billerbeck ist bis zur Enthüllung der Gedenktafel derjenige Gedenkstrang zum Tragen
gekommen, der das allgemeine und integrierte Opfergedenken betont, und das übrigens sehr verspätet, was die demonstrative Festschreibung im öffentlichen Raum angeht.
Es ist der privaten Initiative des Fördervereins zu verdanken, dass der seit seiner
Entstehung im Jahre 1926 unveränderte Gedenkort „Kriegerehrenmal“ in seiner Repräsentanz und Sinnhaftigkeit kritisch hinterfragt und ein Umdenkungsprozess
angestoßen wurde. Mit dem künstlerischen Umwandlungsprozess seit Herbst 2000 soll das „Kriegerehrenmal” zum „Mahnmal für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft” werden.
Schon in den 1950er Jahren deutete sich ein historisch-politischer Läuterungsprozess
zumindest auf rhetorischer Ebene an. So lautete das neue Motto des Volksbunds „Versöhnung über den Gräbern – Arbeit für den Frieden“. Mit der unspezifischen
Gedenkformel „Unseren Toten” in den 1950er und 1960er Jahren kam ein weiter, fast universeller Opferbegriff auf.
Nun war die Rede von allen Toten als „Opfer des Krieges und der Gewalt” bzw. später
der „Gewaltherrschaft”. Am Ende dieser Entwicklung standen die Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 und – nach der
Wiedervereinigung – die Nutzung der Neuen Wache in Berlin als zentrale Gedenkstätte seit 1993.
Weizsäcker umschrieb die einzelnen Opfergruppen, die bis heute am häufigsten
verwandte und mit der Verbindlichkeit der political correctness versehene Auflistung aller Opfer. Die Berliner Gedenkstätte schrieb dann jene Gedenkformel fest, die in der
Bevölkerung allseitig akzeptiert und in der Politik fast ausschließlich angewandt wird. Mit der Kollwitzschen Pieta soll fortan „Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft” gedacht werden.
Mit der neuen Gedenktafel am Krieger- ehrenmal wird versucht, dem Gedanken
Rechnung zu tragen, zwischen Kriegstoten und Gewaltopfern strenger und angemessener zu unterscheiden.
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Die Bonner und Berliner Gedenkformel hat den Vorteil, dass neben das Kriegstotengedenken gleichberechtigt
das Gewaltopfergedenken tritt. Sie hat aber auch den Nachteil, vom speziellen Opfergedenken zu entbinden zugunsten eines allgemeinen und weitgefaßten Opfergedenkens.
Einem solchen Gedenken wohnt die Gefahr inne, alle Toten unterschiedslos als Opfer aneinanderzureihen und die
„Kriegsopfer“ und „Gewaltopfer” gleichzustellen. Wurde zwischen 1933 und 1945 wirklich jeder, zumindest jeder Tote infolge von Krieg und Gewaltherrschaft, zu einem Opfer? Nein, die Frage nach
Verursachung und Verantwortung von Krieg und Gewalt bleibt bestehen wie auch die kategoriale Unterscheidung von Tätern und Opfern.
Die neue Billerbecker Gedenktafel als Teil des Umwandlungsprozesses vom „Ehrenmal” zum „Mahnmal” greift die
allgemeine bundesrepublikanische Gedenkformel zwar auf, versucht aber mit der präziseren Gedenkformel, der ausdrücklichen Erwähnung der speziellen Opfergruppen und – soweit möglich – der
namentlichen Erwähnung der Opfer dem Gedanken Rechnung zu tragen, zwischen Kriegstoten und Gewaltopfern strenger und angemessener zu unterscheiden.
weiter: Die vergessenen und verdrängten Opfer des Nationalsozialismus: Einheimische „Euthanasie”-Opfer
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