Volkstrauertag 2002 in Billerbeck

Gedenkstunde mit
Ãœbergabe der neuen Gedenktafel

 

Der Volkstrauertag hat seine Selbstverständlichkeit verloren. Die herkömmlichen Rituale und die alljährliche Routine werden hinterfragt, neue Formen und erweiterte Inhalte des Gedenkens gesucht. Wer den „Billerbecker Anzeiger“ vor und nach dem diesjährigen Volkstrauertag am 17. November 2002 aufmerksam las, erfuhr von den Auseinandersetzungen in den Nachbarorten Billerbecks, dem Volkstrauertag einen zeitgemäßen Sinn zu geben und der Vergangenheit in der Gegenwart angemessen zu begegnen.

 In Havixbeck versuchte der Bürgermeister, den Volkstrauertag ziviler als in den Vorjahren zu gestalten, ohne Nationalhymne und Lied „Ich hatte einen Kameraden“, mit Beiträgen einer Schülergruppe und des Friedenskreises der Anne-Frank-Gesamtschule. Die Kameradschaft ehemaliger Soldaten war erstmals nicht an der Vorbereitung beteiligt, die Fahnenabordnungen der Vereine und Verbände vermißten die traditionelle Ordnung der Gedenkstunde. Aus Protest legte die Kameradschaft ihren Kranz erst nach dem Ende der offiziellen Veranstaltung nieder.

 In Nottuln wurde im Rhodepark ein Gedenkstein der Öffentlichkeit übergeben, der an die Zwangsarbeiter vor Ort im Zweiten Weltkrieg erinnern soll, ein Beitrag der Friedensinitiative Nottuln und der Anne-Frank-Gesamtschule Havixbeck zum Volkstrauertag.

n Gescher hatte eine Schülergruppe der Realschule zu einer Gedenkstunde auf den jüdischen Friedhof eingeladen, um an die verfolgten und ermordeten Bürger jüdischer Konfession zu erinnern. In der Woche zuvor verschwanden die Plakate, die auf die Veranstaltung hinweisen sollten. Der jüdische Friedhof wurde geschändet – zwei Grabsteine waren umgestürzt worden.

 In Coesfeld gab die Gedenkrede Anlass nachzudenken, was „Volkstrauern“ bedeutet. Die Frage „Worüber sollen wir alle zusammen traurig sein?“ zielte auf die Konsensfähigkeit des Gedenkens ab, auf die Stiftung gesellschaftlicher Integration im Erinnern. Die Antwort fiel enttäuschend aus, sprach sie sich gegen das „Auseinanderdividieren der Toten“ angesichts des erfahrenen Leids aus.

Hier zeigt sich die grundlegende Problematik des deutschen Volkstrauertags nach 1945: Wie soll man der zivilen und militärischen Kriegstoten des Zweiten Weltkriegs auf der einen und den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft auf der anderen Seite gedenken? Wie wird man insgesamt sowohl der Geschichte wie der Gegenwart gerecht? Wer gehört zum Volk, zum Volk der Trauernden und zum Volk der Betrauerten? Wer findet Berücksichtigung im Totengedenken, wer wird vergessen und verschwiegen, verdrängt und verleugnet?

Und in Billerbeck? Die Gedenkstunde zum Volkstrauertag setzte einen neuen Akzent. Eine Gedenktafel, die an die Toten der beiden Weltkriege sowie an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in und aus Billerbeck erinnern soll, wurde der Öffentlichkeit übergeben. Zudem stand das Gedenken an jene jüdischen Bürgerinnen und Bürger aus Billerbeck im Vordergrund, die in der Shoah deportiert und ermordet worden sind. Gedenktafel und Gedenkstunde versuchten, die alten Antworten auf die Fragen zu durchleuchten und neue Antworten zu finden.

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