Einführung in

das Kunstwerk

 

Rede von Dr. Erich Franz
anlässlich der Uraufführung des Musikstückes “wenn nicht du”
am 22.10.2000

  

Es gab in den letzten Jahren verschiedene Diskussionen über Denkmäler und das Thema des Denkmals, vor allem in Berlin: die Neue Wache als Denkmal für die Opfer des Krieges, die „Topographie des Terrors“, das geplante „Mahnmal für die ermordeten Juden“. Die Diskussionen haben zweierlei gezeigt:

Ein Denkmal als Werk der bildenden Kunst ist bereits als Gattung, als Aufgabe fragwürdig. Und ein Denkmal für das Undarstellbare, für das Unvorstellbare des Krieges, der Gewalt, trifft immer das Problem der Ästhetisierung und der unerträgli­chen Verharmlosung.

Ein Denkmal, ein Monument, bedeutet ja, etwas aus dem Fluss des Lebens herauszuheben, es darüber zu stellen und ihm Dauer zu verleihen.

Meine Damen und Herren, dieses Verhältnis zwischen Kunstwerk - als Monument - und Publikum, dieses Verhältnis der Über- und Unterordnung, ist heute, im Zeitalter der Demokratie und der Achtung der Freiheit des Einzelnen, unerträglich geworden. Wir können und dürfen nicht mehr akzeptieren, dass uns eine ewig gültige Meinung, eine feststehende Ansicht, als unveränderlich und unwandelbar vor Augen - das heißt eigentlich ü b e r  unsere Augen - gestellt wird, der wir uns nur zu unterwerfen haben.

Picasso hat für seinen Freund Apollinaire daher 1928 ein Denkmal geschaffen, das aus nichts als einem leeren Raum besteht, artikuliert durch drahtartige dünne Eisenstäbe; eine „Zeichnung im Raum“. Es gibt nichts zum Ansehen, nichts Feststehendes, nur wechselnde Andeutun­gen, durch die man nur hindurchschauen kann. Heutige Skulptur hat sich vom Sockel hinab auf den Boden des Betrachters begeben; der Betrachter wird zum Mitspieler und sogar zum Bestandteil der Skulptur.

 In Bezug auf die Undarstellbarkeit und die Unvorstellbarkeit und damit in Bezug auf die Gefahr der Verharmlosung sei nur daran erinnert, dass etwa Jochen und Esther Gerz 1986 ein Mahnmal gegen den Faschismus in Hamburg-Harburg errichteten, das heute unsichtbar in den Boden abgesenkt ist, und dass beide Künstler 1993 ein Monument gegen Rassismus in Saarbrücken schufen, das aus einem Straßenpflaster mit 2146 Steinen besteht, deren nicht sichtbare Unterseiten die Namen von jüdischen Friedhöfen tragen.

Die Bildende Kunst kann hier nur zeigen, dass das, worum es geht, nicht sichtbar zu machen ist; sie kann nur etwas darstellen, indem sie das Scheitern und die Unmöglichkeit der Darstellung zeigt.

 So auch bei dem Denkmal von Wolfgang Winter und Berthold Hörbelt. Es besteht aus einer leeren Stelle, deren Leere jedoch nicht unbestimmt und beiläufig ist, sondern nachdrücklich hervorgehoben wird.

Diese Bestimmtheit und Genauigkeit entsteht durch ein Ritual, das die leere Stelle hervorhebt: ein Musikstück, das allsonntäglich zu einer bestimmten Uhrzeit aufgeführt wird. Was auf dem Sockel steht, ist eine Musikaufführung, also etwas, das nicht anzusehen ist, sondern das nur im eigenen Innern zu erfahren ist: Musik, eine Melodie, eine Bewegung des Klangs.

Damit werden Gefühle und Erinnerungen geweckt, die dem Betrachter nichts vorschreiben, sondern etwas in ihm auslösen, eine eigene innere Bewegung.

Über das Musikstück, das von Friedrich Jaecker komponiert wurde, müsste eigens etwas gesagt werden. Ich will nur anmerken, dass der Titel “WENN NICHT DU“ einmal auf den Betrachter gerichtet erscheint, dann aber auf dessen Ohnmacht und die Hoffnung auf den “Herrn“, der uns Frieden geben möge. Und der “Gestus des Stücks“, so zitiere ich den Komponisten, ist “durch einen ständigen Wechsel von Ansatz und Innehalten geprägt.“ Auch hier also eine nachdrückliche Aktivierung des Betrachters.

 Ich sage ausdrücklich “Betrachter“, denn es ist wichtig, dass diese Musik an einem bestimmten Ort ausgeführt wird, den man sehen kann.

Lassen Sie mich kurz zu beschreiben versuchen, was ich sehe: Im Herbst eine melancholische Stimmung, ein Musiker zwischen ein paar Vorbeigehenden, das Laub fällt. Im Winter im Schneeregen eine einsame Person, niemand ist da und hört zu, aber das Stück muss gespielt werden, und die Leute in den Zimmern wissen davon. Im Frühjahr spielen die Kinder, einige machen Krach, jemand spielt mit der Mundharmonika dazwischen, es bildet sich eine Traube von Menschen. Im Sommer fah­ren die Leute mit dem Auto vorbei zum Gartenfest oder zum Schwimmbad, einige Fremde kommen, die eine Kunstreise machen.

 Sie sehen, meine Damen und Herren, was immer gleich ist, sieht doch immer anders aus. Es sind eigentlich schöne Bilder. Und was am Anfang neu sein wird, wird irgendwann gewohnt sein und im Bewußtsein vorhanden, auch wenn - unter der Woche -nichts weiter zu sehen ist.

 Diese Veränderlichkeit ist die entscheidende Qualität des Denkmalkonzepts:
Es bleibt nicht etwas aus Stein oder Bronze immer gleich, sondern es bildet sich und verändert sich im Bewusstsein der Menschen.

 Ich wünsche der Gemeinde von Billerbeck und dem Förderverein, dass dieses ungewöhnliche Denkmal Gestalt gewinnt - eine Gestalt nicht aus beständigem Material sondern eine wechselnde Gestalt in der lebendigen Vorstellung der Menschen. Ein anderer Umgang mit dem Thema des Gedenkens an die Toten von Krieg und Gewaltherrschaft darf es eigentlich nicht sein; es muss ein lebendiger Umgang sein.